Lifestyleme Redaktion

Warum wir plötzlich alle Yoga machen oder Eisbaden

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Wir stehen auf einem Bein, atmen durch die Nase und posten es in unserer Story.
Wir stopfen Einmachgläser mit Kohl, gießen ihn mit Salzlake auf – und fühlen uns irgendwie „geerdet“.
Wir steigen in eiskaltes Wasser, zittern, schreien – und nennen das Selfcare.

Yoga. Fermentation. Eisbaden.

Was vor wenigen Jahren noch als „spiritueller Spleen“ oder „Hipster-Macke“ galt, ist längst mitten im Mainstream angekommen. Aber warum eigentlich? Warum greifen bestimmte Trends plötzlich wie Lauffeuer um sich – quer durch Altersklassen, Milieus, Geschlechter? Warum rollen so viele Matten aus, wenn’s um mehr geht als nur Dehnung?

Dieser Artikel ist kein Trend-Bashing. Ich mache viele dieser Dinge selbst – mit Überzeugung. Aber genau deshalb will ich tiefer fragen:
Was steckt psychologisch hinter diesen Lifestyle-Bewegungen? Was suchen wir – und was finden wir (vielleicht) gar nicht?

Yoga – Die Suche nach Balance in einer Welt der Reizüberflutung

Yoga ist längst mehr als ein Sport. Es ist eine Haltung, ein Versprechen.
Wer Yoga macht, sagt damit auch: Ich bin achtsam. Ich arbeite an mir. Ich habe einen ruhigen Kern.

Psychologisch gesehen befriedigt Yoga gleich mehrere Bedürfnisse auf einmal:
Ritual. Körperbewusstsein. Identitätsarbeit.
In einer Welt, die uns pausenlos mit Informationen bombardiert, ist der Fokus auf den eigenen Atem ein Akt der Selbstermächtigung. Wir ziehen uns zurück, schalten aus, verbinden uns – innerlich und mit einer Community, die dieselbe Sprache spricht: Asana, Pranayama, Vinyasa.

Der Boom ist kein Zufall. Je hektischer das Außen, desto dringlicher die Sehnsucht nach einem stillen Innen.

Fermentation – Kontrolle durch Mikroben

Kimchi, Kombucha, Sauerteig – das klingt nach Kulinarik, ist aber auch Psychologie pur.
Denn Fermentieren ist nicht einfach Kochen. Es ist das Einüben von Geduld. Vertrauen. Und Kontrolle.

Wir leben in einer Ära, in der viele Prozesse um uns herum komplex, unüberschaubar und instabil wirken – Klima, Politik, Gesellschaft. Inmitten dieser Unsicherheiten ist ein Glas mit blubberndem Sauerkraut fast schon ein Statement: Ich habe hier etwas geschaffen, das sich entwickelt, weil ich es richtig angeleitet habe.

Fermentation gibt uns das Gefühl, die Welt – zumindest im Kleinen – zu verstehen und zu gestalten. Und ganz nebenbei dockt es auch noch an das Bedürfnis nach Natürlichkeit, Selbstversorgung, Erdung an. Eine stille Rebellion gegen Fast Food und Entfremdung.

Eisbaden – Schmerz als Selbstbestätigung

Kaum etwas wirkt auf Außenstehende so bizarr wie Menschen, die freiwillig im Winter in eiskaltes Wasser steigen. Warum tun wir das?
Weil wir fühlen wollen, dass wir leben. Weil wir die Kontrolle über unseren Körper zurückgewinnen wollen. Und weil Schmerz – dosiert und bewusst gewählt – paradox wirkt: Er macht uns stark.

Eisbaden ist das Gegenteil von Vermeidung. Es fordert uns heraus, konfrontiert uns mit der eigenen Angst – und verwandelt sie in Stolz.
Psychologisch ist es ein Übergangsritual: Wer reinsteigt, überwindet sich. Wer rauskommt, ist jemand, der sich überwunden hat.

In einer Gesellschaft, die uns oft sagt, was wir tun sollen, erlaubt Eisbaden, etwas ganz Eigenes zu tun – etwas, das man nicht konsumiert, sondern erlebt.

Was wir wirklich suchen:

Ob Yoga, Fermentation oder Eisbaden – all diese Trends sind keine Zufälle. Sie entstehen dort, wo gesellschaftliche Spannungen, persönliche Fragen und kollektive Sehnsüchte aufeinandertreffen.

Wir suchen:

Zugehörigkeit in einer Welt, die uns oft vereinzelt.
Sinnhaftigkeit in einem Alltag, der uns ablenkt.
Kontrolle in Systemen, die wir nicht verstehen.
Routinen in einer Kultur der ständigen Veränderung.
Selbstwirksamkeit in Zeiten der Überforderung.
Identität – etwas, das sagt: Das bin ich. Das tut mir gut. Das macht mich aus.

Und was heißt das für uns als Blogger:innen?

Wir berichten nicht nur über Trends – wir verstärken sie auch. Wir spiegeln Sehnsüchte, geben Worte für Unausgesprochenes. Vielleicht liegt darin auch eine Verantwortung: Nicht nur zu zeigen, was gerade angesagt ist, sondern auch, warum. Vielleicht dürfen wir als Lifestyle-Blogger wieder mehr in die Tiefe gehen. Geschichten erzählen, statt nur Routinen. Fragen stellen, statt immer sofort Antworten zu geben. Und Menschen begleiten – in ihrer Suche nach Sinn, Echtheit und innerer Ruhe.